19. Juli 2014

Legitime Israelkritik?



Ich war gestern in Essen. Eigentlich wollte ich mir dort die Veranstaltung der Linksjugend Ruhr angucken, die dort eine Pro-Palästina-Kundgebung angemeldet hatte, für die sich einige Antisemit*innen angekündigt hatten und zu der auch Nazis erwartet wurden, und dort Fotos machten. Am Ende stand ich mitten in der Gegendemo. Nachdem die Kundgebung der Linksjugend aufgelöst wurde, haben sich nämlich etwa 1000 Menschen zu der von verschiedenen Gruppen angemeldeten Gegendemo begeben und wollten mit Steinen, Glasflaschen, Böllern und anderem anscheinend in die Gegendemo werfen. Getroffen haben sie selten, das meiste landete bei den Journalist*innen. Super! So sichert mensch sich gute Presse! Aber eigentlich war das gar nicht mehr nötig, um ein negatives Bild von der Menge zu bekommen. Hier meine Gedanken dazu:

Antisemitische Demo Essen

 

Das ist also diese „Israelkritik“, von der immer alle reden. So so. Ich seh schon. Total legitim und bestimmt nicht antisemitisch. Dass diese bösen, bösen Antideutschen auch immer gleich die Antisemitismuskeule schwingen müssen! Also so was!

Huch, hat da etwa grade jemand gesagt, dass er alle Juden fickt? Krasse Leistung! Und das, obwohl das ja auch alles (!) Kindermörder sind und die Hände rot vor Blut sind. Sieht mensch doch! Alles legitime Israelkritik. Alles klar. Die Plakate mit „Angeblich früher Opfer – Heute selber Täter“ spielen auch bestimmt nicht den Holocaust runter und die grünen und schwarzen Fahnen mit arabischer Aufschrift da drüben sind auch total harmlos. Hamas und Dschihad, yeah!

Antisemitische Demo Essen 2

Ich könnte kotzen. Wie so viele hier. Die meisten stehen einfach nur rum und gucken zu, wie ihnen eine hasserfüllte, wütende Menge gegenüber steht. Argumente oder Parolen wurden längst schon als zwecklos verworfen. Hier geht es nicht um Argumente, hier geht es um Emotionen. Trauer, Wut, Verzweiflung – alles sehr verständlich, wenn es um Krieg geht. Doch es überwiegt Hass. Und zwar nicht der Hass auf die Bomben, den Krieg, die ganze beschissene Situation, sondern Hass auf Israel als Staat mit all seinen Bewohner*innen und bei vielen auch alle Jüdinnen und Juden weltweit. Einigen scheint der eigentliche Konflikt sogar herzlich egal zu sein. Es werden Türkei- und Syrienfahnen geschwenkt, Israel wird das Existenzrecht aberkannt. Das Recht auf Schutz der eigenen Bevölkerung sowieso. Hier geht es vielen nicht darum, dass die Gewalt enden soll. Hier geht es um ein Ende Israels als Staat. Eines Staates, der seit der Gründung von seinen Nachbarstaaten bedrängt, bedroht, angegriffen, gehasst wird. Die israelische Politik ist nicht perfekt und es gibt vieles, das es sich zu kritisieren lohnt, keine Frage! Aber das rechtfertigt die Forderung nach der Auslöschung des Staates nicht. Das rechtfertigt auch nicht, die Zivilbevölkerung zu bombardieren, egal ob Israel nun – nicht ohne Grund – ein so gutes Raketenabwehrsystem hat, dass glücklicherweise selten etwas ankommt, oder nicht. Und das rechtfertigt erst recht nicht, alle Jüdinnen und Juden weltweit dafür zu hassen und ausrotten zu wollen! Die jüdische Bevölkerung muss seit Jahrhunderten Diskriminierung und Verfolgung erleiden, der Holocaust war da leider nur die schreckliche Spitze des Eisbergs. Es wird Zeit, dass Antisemitismus einen hässlichen Vermerk im Geschichtsbuch bildet und endlich aus dem Alltag verschwindet. Als Menschen, die sich als antifaschistisch bezeichnen, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen bzw. es zumindest zu versuchen. Sich jedoch der antisemitischen/antizionistischen Hetze anzuschließen, wie es viele selbsternannte Linke tun, zeugt von einer Eindimensionalität, die ich mir nicht erklären kann. Ganz groß sind dabei Vergleiche zwischen Israel und dem Naziregime. Ein kleiner, demokratischer Staat, der die eigene Bevölkerung schützen möchte – ob nun mit den richtigen Mitteln sei dahin gestellt – wird mit einer Diktatur gleichgesetzt, die ganz Europa erobern und ein ganzes Volk – das Jüdische, falls jemand das vergessen hat – auslöschen wollte. Wie zur Hölle, kommt mensch auf so einen Vergleich??

Aber alles legitime Israelkritik. Alles berechtigt. Das muss mensch doch noch sagen dürfen! Wo kämen wir denn da hin?! Vielleicht in eine Welt ohne antisemitische Äußerungen. Nur so ne Idee.



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