10. August 2018

Ein Gesamtkonzept für gesunde Ernährung braucht eine Zucker- und Süßungsmittelsteuer



Die Grüne Jugend NRW nimmt die aktuelle Debatte zur Einführung einer Zuckersteuer in Deutschland zum Anreiz ihren Einsatz für eine gesündere Ernährung und eine bessere Prävention vor ernährungsbedingten Krankheiten zu erneuern und an die jüngeren Entwicklungen anzupassen.

Die Grüne Jugend NRW schließt sich der jahrelangen Forderung des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) an und fordert eine bessere Adipositasprävention. Der Bewegungsdrang der Kinder und Jugendlichen muss gefördert werden.

Den Forderungen von mehr als 2.000 Ärzt*innen und deren breiten Bündnis aus 15 Ärzt*innenverbänden, Fachorganisationen und Krankenkassen entsprechend ist es nach Meinung der Grünen Jugend NRW ebenso wichtig Beschränkungen und Richtlinien für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung und deren gezielten und zum Teil unterschwelligen Botschaften zu setzen.

Ergänzt werden soll dies mit verbindlichen Mindeststandards für die öffentliche Beschaffung von gesunder, zuckerarmer Schul- und Kitaverpflegung. Zahlen, wie in den USA, dass bei bestimmten Sendungen oder Serien 60 Prozent der Werbung für ernährungstechnisch bedenkliche Lebensmittel genutzt werden, müssen in Deutschland im Fernsehen wie im Internet verhindert werden. Ein positives Image soll bei jungen Leuten nur dann kreiert werden dürfen, wenn es das Produkt aus gesundheitlicher Sicht auch verdient. Alternativ könnte dies durch eine zusätzliche Steuerregulierung erschwert werden.

Auf Seiten der Ernährungspsychologe setzt sich die Grüne Jugend NRW dafür ein mehr zu lehren, zu erklären, unbewusste Prozesse bewusst zu machen und zu verdeutlichen, wie emotionales Essen funktioniert und die Psychologie hinter unserem Essverhalten tiefgreifender zu beleuchten. Dazu gehört auch, dass Eltern durch gemeinsame Mahlzeiten und ihr Einkaufsverhalten das Gesundheits-und Ernährungsbewusstsein ihrer Kinder wesentlich prägen. Daher fordert die Grüne Jugend NRW nicht nur eine gezieltere Aufklärung und Weiterbildung für Kinder und Jugendliche in der Schule, sondern auch Informationsangebote und -kampagnen für Eltern. Die Grüne Jugend NRW schließt sich in diesem Kontext der Forderung aus der KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts an, welche die Bekämpfung sozial ungleich verteilter Gesundheitschancen in den Vordergrund stellt.

Die Grüne Jugend NRW kritisiert des Weiteren die zu wenig wahrgenommene Hersteller*innenverantwortung der Wirtschaft und vertraut nicht weiter auf deren Eigeninitiative. Damit stellt sie sich gegen den marktliberalen Gedanken, welcher das Prinzip der Konsument*innensouveränität zwar zu Recht in den Vordergrund stellt, aber gleichzeitig die Unternehmen missinterpretierend aus der Pflicht nimmt. Dabei geht es nicht darum den Konsument*innen vorzuschreiben, was sie zu essen haben, sondern sie vor versteckten Fallen und unverantwortlichem Verkaufsinteresse der Großkonzerne zu schützen.

Im jüngsten Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD auf Bundesebene steht, dass eine „Nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten“ gemeinsam mit den Beteiligten konzeptualisiert werden soll und dieses „mit wissenschaftlich fundierten, verbindlichen Zielmarken und einem konkreten Zeitplan versehen“ werden soll. Allerdings spricht Verbraucher*innenministerin Julia Klöckner, welche dazu vor allem Vertreter*innen der Lebensmittelhersteller*innen der Zucker- und Fettbranchen eingeladen hat, von einem Dialog mit den Akteur*innen. Das Ergebnis von Ende April 2018 fiel dann auch weitaus enttäuschender aus als zunächst anzunehmen war. Die CDU-Ministerin setzte sich allein für eine Verstärkung der Ernährungsbildung, einer Sensibilisierung der Bürger*innen und Verbraucher*innen und einer nachvollziehbaren Kennzeichnungen ein, ohne dabei konkreter zu werden. Hauptaussage ihrer politischen Botschaft war, dass sie sich „gegen die Diskriminierung einzelner Zutaten“ stelle. Diese rückwärtsgewandte und Verbraucher*innenschädigende Haltung verurteilt die Grüne Jugend NRW scharf. Supermarktketten machen bis zu 10 Prozent ihres Umsatzes mit Süßwaren. Sie dürfen nicht mit dem selbstformulierten Versprechen davonkommen Pilotprodukte sukzessive ins Sortiment aufzunehmen oder ihr Eigenmarkensortiment bis 2020 auf den Zuckergehalt überprüfen zu wollen.Ausreden wie jene des Spitzenverbands der Lebensmittelwirtschaft, dem Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dass Zuckerarten, Fette und Salze nicht nur Geschmacksträger sind, sondern auch eine Reihe von technologischen Eigenschaften, wie der Haltbarkeit und der Beschaffenheit von Lebensmitteln mit sich bringen und bestehende Rezepturen so überarbeiten werden müssten, dass sie noch schmecken, nimmt die Grüne Jugend NRW nicht mehr hin. Sie verweist darauf, dass Zucker eher reichlich hinzugefügt wird, um deren Fülle zu nutzen und hochwertigere und weniger kostengünstige Zutaten zu vermeiden.

Gleichzeitig sieht die Grüne Jugend NRW die Gefahr, dass für viele Verbraucher*innen, trotz bestehender Nährwerttabelle, schwer zu erkennen ist wie viel Zucker tatsächlich in einem Produkt steckt, weil dort nur herkömmlicher Haushalts-Zucker deklariert werden muss und andere Süßungsmittel nicht. Meist werden Konzentrate oder Fruchtsaftkonzentrate eingesetzt, die zu einem hohen Zuckergehalt führen können, aber nicht als üblicher Zuckerzusatz gelten. Diese werden zwar in der Zutatenliste angegeben, meist versteckten sie sich jedoch hinter anderen Namen und chemischen Begriffen, welche sich insgesamt in über 70 verschiedene Namen und Stoffe aufteilen. Beispiele sind Dextrose, Polydextrose, Maltodextrin, Maltit Cyclamat, Glukose-Sirup, Traubensüße, Gerstenmalzextrakt, Invertzuckersirup oder Süßungsmittel wie Xylit, Acesulfam oder Aspartam. Gerade Süßungsmittel und kalorienfreie Süßstoffe wie Acesulfam und Aspartam machen allerdings nicht zwingend schlank und können sogar Studien zufolge schädlich sein, weil sie den Stoffwechsel und die Auskleidung der Blutgefäße ungünstig verändern können. Dabei ist anzumerken, dass insbesondere bei Sucralose, Stevia und Saccharin noch keine fundierten Kenntnisse existieren und es dringend wissenschaftlicher Felduntersuchungen dazu bedarf. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät daher auch „statt Zucker durch Süßstoffe zu ersetzen grundsätzlich auf ‚weniger süß‘ umzustellen“.

Die Grüne Jugend NRW fordert daher die Erweiterung der Nährwerttabelle mit einer differenzierten Ampelkennzeichnung für Zucker, Fett und Salz, wie sie von Verbraucherschützer*innen seit Jahren gefordert wird und damit eine obligatorische Produktkennzeichnung mit einer verständlichen und vergleichbaren Lebensmittelkennzeichnung. Dabei soll das dreigliedrige Ampelfarben-Schema von „grün, gelb und rot“ mit dunkelgrün und orange erweitert werden, um deutlichere Abstufungen vornehmen zu können und Zuckerbomben mit einem Blick eindeutig identifizieren zu können.

Der visuelle Anreiz für Verbraucher*innen soll nach Meinung der Grünen Jugend NRW dabei mit einem finanziellen Anreiz für die Hersteller*innen kombiniert werden. Dem Wunsch der Mehrheit von 53 Prozent der Menschen in Deutschland folgend, wie eine Umfrage von YouGov im Auftrag von foodwatch im Mai 2018 ergab, setzt sich die Grüne Jugend NRW für eine Steuer auf überzuckerte Getränke ein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfahl zum Welt-Adipositas-Tag bereits eine solche Steuer von mindestens 20 Prozent. Vorstellbar wäre also etwa eine Steuer von 20 Cent pro Liter für alle Getränke die mehr als fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter enthalten.

Als Vorbild sieht die Grüne Jugend NRW Länder wie Berkeley (USA), Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Mexiko und Ungarn wo bereits Sondersteuern oder -abgaben auf Süßgetränke und Soft-Drinks oder bestimmte Lebensmittelgruppen wie Schokolade, Zuckerwaren und Speiseeis oder besonders kalorienreiche Produkte, wie z.B. sogenannte Junkfood-Produkte, existieren. Diese Hersteller*innenabgaben können dann zweckgebunden in Präventionsprojekte oder im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt werden. Dazu gehört vor allem, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), wie es bereits im Präventionsgesetz vorgesehen ist, mit mehr Mitteln ausgestattet wird.

Eine generell gerechtere oder andere Besteuerung von Lebensmitteln, welche beispielsweise die Besteuerung von Mineralwasser mit 19 Prozent und eines Schokoriegels mit sieben Prozent Mehrwertsteuer anpasst oder ausgleicht, ist ebenso ein Ziel der Grünen Jugend NRW.

Die Tatsache, dass über fünf Millionen Menschen in der Lebensmittel- und Zuckerbranche arbeiten, erfordert ein Gesamtkonzept, welches alle in die Verantwortung nimmt, die bisherigen vereinzelten Maßnahmen wie in der Adipositas-Prävention oder der Sportförderung zusammenführt, und allen gerecht wird. Die Grüne Jugend NRW fordert in diesem Zuge auch eine höhere Bereitschaft der Krankenkassen bei der Kostenübernahme für chirurgische Eingriffe bei Adipositas-Patient*innen. Magenverkleinerungen sind für die breite Bevölkerung viel zu teuer und viele Medikamente gegen Adipositas benötigen ein immenses Maß an weitergehender Forschung.

Langfristig muss es darum gehen, dass Konsument*innen weniger Süßes nachfragen, wie es das ife, Institut für Ernährungswirtschaft, empfiehlt. Wobei Zuckerreduktion dazu führen kann, dass mehr gegessen wird und damit mehr Kalorien als vorher aufgenommen wird. Es muss deutlich sein, dass zuckerreduziert nicht unbedingt kalorienreduziert bedeutet. Für ein gelingendes Gesamtkonzept gilt es daher auch gesundheitsrelevante Verhaltensweisen abhängig von strukturellen Bedingungen und Umweltfaktoren zu begreifen und Ansätze zu finden, welche auch die Beschaffenheit der Wohnumgebung, der Einzelhandelskonstellation vor Ort, Grünflächen, Spielplätze, Sportangebote, und Verkehr sowie Sicherheit in Betracht ziehen. Existierende Zucker-Alternativen müssen unterstützt, ausgebaut und gefördert werden und die Tatsache, dass Fertigprodukte im Vergleich zu Rohwaren oft teurer sind, genutzt werden, um frische Lebensmittel und eigenes Kochen zu bewerben. Gleichzeitig müssen gesunde und nachhaltig produzierte Lebensmittel weiter gefördert werden und auch finanziell für jeden Mitmenschen in einem ausreichenden Maße erschwinglich sein.

Bei der Betrachtung der bisherigen Folgen in den anderen Ländern fällt auf, dass einige Hersteller*innen den Zuckergehalt, beispielsweise bei Softdrinks, auf knapp unter den Grenzwert gesenkt und den Rest durch diverse Süßstoffe ersetzt haben. Laut einer Studie des britischen Gesundheitsministeriums ist der Zuckeranteil in Softdrinks zwar um zwölf Prozent zurückgegangen, aber in einem vergleichbaren Verhältnis der Anteil an Ersatzstoffen gestiegen. Ebenfalls ist festzuhalten, dass die Absatzzahlen von Süßgetränken und -essen nach Einführung der Steuern beispielsweise in Berkeley, Mexiko und Ungarn bereits gesunken sind. In Berkeley oder auch Mexiko nahm parallel der Konsum von Wasser zu. Die Grüne Jugend NRW fordert in diesem Zusammenhang neben der Einführung einer Steuer auf Zucker auch eine vergleichbare Steuer auf alle Süßungsmittel, um substituierende Effekte zu vermeiden.

Ebenso soll ein staatliches Monitoring der Auswirkungen auf die Rezepturen der Lebensmittelproduzent*innen und die Absatzzahlen durchgeführt werden, um die tatsächlichen Auswirkungen eines neuen Steuersystems evaluieren, begleiten und mittelfristig Anpassungen vornehmen zu können.

Beschluss der Landesmitgliederversammlung vom 15. Juli 2018 in Mönchengladbach.



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