Mehr Demokratie für Kinder und Jugendliche

Um die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist es im Moment schlecht gestellt: Wichtige stadtplanerische Entscheidungen, Schul- und Bildungspolitik und die Kinder- und Jugendpolitik werden meist ohne die direkt Betroffenen gestaltet. Um eine breiter Repräsentanz der Jugend zu ermöglichen, tritt die GRÜNE JUGEND NRW für die Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre ein. Zurzeit sprechen meist die Wohlfahrtsverbände für die jungen Menschen, bestenfalls ist ein Jugendparlament eingeschaltet, das aber an den tatsächlichen Entscheidungen nicht beteiligt ist. Auch als sachkundigen BürgerInnen wird unter 18-jährigen die Mitarbeit in den städtischen Gremien verwehrt.

In den weiterführenden Schulen wurde mit der Aufhebung der Drittelparität in den Schulkonferenzen der vorsichtige Versuch demokratischer Mitbestimmung in der Schule wieder rückgängig gemacht. Von Beteiligungsformen im Primarbereich sind die nordrhein-westfälischen Schulen noch ellenweit entfernt.

Dieser traurigen Realität stehen die auch in der Landesverfassung verbrieften Kinderrechte der Vereinten Nationen gegenüber, die eine Berücksichtigung der Meinung des Kindes fordern, und das Jugendhilfegesetz, nach dem Kinder und Jugendliche an Verwaltungsverfahren zu beteiligen sind.

Die Tatsachen,

  • dass Kinder als vollwertiger Teil unserer Gesellschaft gesehen werden müssen und deshalb auch mitbestimmen müssen,
  • dass die Interessen der jungen Menschen infolge des demographischen Wandels drohen unter die Räder zu geraten,
  • dass Demokratie nicht erst mit der Vollendung des sechzehnten Lebensjahres beginnen kann, sondern der Grundstein für eine lebendige Demokratie schon früher gelegt wird,

untermauern unsere Forderung nach einer Verankerung gewichtiger Kinder- und Jugendparlamente in der Gemeindeordnung und die Stärkung des Kinder- und Jugendrates NRW. Die Kinder- und Jugendparlamente (KiJuPa) sind, solange das Wahlrecht nicht gesenkt wird, eine gute Möglichkeit die Interessen von Jugendlichen in einer Gemeine einzubinden. Die Landesmitgliederversammlung der GJ NRW fordert den Landesvorstand auf, gemeinsam mit Interessierten ein Konzept zu erstellen und dieses bei der bald möglichsten Gelegenheit bei den Grünen NRW und den Kreisverbänden einzubringen.

Kinder- und Jugendparlament und der Rat

Die Aufgabe der Kinder- und Jugendparlamente (KiJuPa) ist es, Kinder und Jugendliche in der Politik angemessen zu vertreten. Es ist offensichtlich, dass nahezu jede Entscheidung die junge Generation direkt betrifft, diese aber in die Entscheidungsfindung keineswegs eingebunden ist – durch die institutionell vorherrschenden Verhältnissen sogar daran gehindert wird, mitzuentscheiden. Aus diesem Grund hält die Grüne Jugend es für richtig und wichtig, dass die Kinder- und Jugendlichen im Jugendhilfeausschuss mit Stimmrecht vertreten sind und in allen anderen Ausschüssen Antragsrecht haben.

Ein explizites Stimmrecht in allen Ausschüssen und im Rat hält die Grüne Jugend NRW für wenig sinnvoll, da es erstens die personellen Kapazitäten überlasten könnte, zweitens Kinder- und Jugendliche zwischen die Fronten von Parteikalkül geraten könnten und drittens weil es wenig repräsentativ ist, Kindern und Jugendlichen unabhängig vom tatsächlichen Proporz aus „gut Will“ einen Sitz zuzugestehen.

Wie alle gewöhnlichen Ratsmitglieder sind die jungen ParlamentarierInnen je nach Befähigung über die Vorlagen (ausgenommen nicht-öffentliche), Anträge etc. zu unterrichten. Zudem müssen sie über den Stand der Bearbeitung in Kenntnis gesetzt werden. Selbstverständlich ist ihnen hierzu wie zur Vorbereitung der eigenen Sitzungen professionelle Hilfe von Seiten der Verwaltung, der/dem Ausschussvorsitzenden und SozialpädagogInnen zur Verfügung zu stellen. In der Praxis sollte ein Jugendparlament vergleichbar mit dem Seniorenbeirat operieren. Obwohl es sich bei beidem um eine beratende Vertretung einer Altersgruppe handelt, sehen wir deutliche Unterschiede und fordern deshalb eine stärkere Stelle (Antragsrecht statt Beratungsrecht) von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu SeniorInnen. Der Seniorenbeirat stellt eine Doppelvertretung von BürgerInnen dar, da SeniorInnen sowohl ein aktives Wahlrecht besitzen als auch in vielen Fraktionen parteiübergreifend vertreten sind.

Eigenständige Mittelvergabe

Dem Jugendparlament Macht und ihm die Möglichkeit der politischen Gestaltung zu geben setzt nicht nur Rechte im Rat der Gemeinde/Stadt voraus, sondern erfordert auch einen eigenen Etat zur Selbstfinanzierung. Dies beinhaltet Mittel für eigene Veranstaltungen und vergleichbare Projekte.

Politische Bildung und Erziehung

Politische Erziehung ist neben der Interessenvertretung Kernaufgabe der jungen Abgeordneten. Neben der indirekten Wirkung, die die Beteiligung an Demokratie mit sich bringt, ist es auch Aufgabe der ParlamentarierInnen, Informationen über Beschlüsse und Beschlussfassungen weiterzugeben. Hierfür ist ihnen in ihren Schulen monatlich eine Informationsveranstaltung zu gewähren. Ein weiterer Baustein zur Demokratieerziehung ist die Einbindung von Interessierten: Es muss eine Regelung gefunden werden, die auch Nichtgewählten Partizipationsmöglichkeiten schafft.

Wahlen und Gestaltung

Wählen sollen alle Einwohner zwischen 10-18 Jahren, unabhängig von ihrer StaatsbürgerInnen- schaft, wobei die unter 16-Jährigen nur ein passives Wahlrecht besitzen sollen, da sie ansonsten ein doppeltes Wahlrecht besäßen. Alle Wahlberechtigten müssen das Recht auf Information haben und an den öffentlichen KiJuPa-Sitzungen teilnehmen können. Die Frauenquote hält die Grüne Jugend NRW für unverzichtbar, um die repräsentative Zusammensetzung des Parlaments zu wahren, solange die Überwindung geschlechtsspezifischer Rollenbilder nicht erreicht ist.

Zusätzlich zu diesen organisatorischen Vorraussetzungen ist es notwendig, dass die Jugendparlamente jederzeit Zugriff auf Tagungsräume haben – also in ihrer Gesamtheit als politischer Akteur akzeptiert werden.

Beschlussfassung der Landesmitgliederversammlung am 6.4.2009 in Münster

60 Jahre und kein bisschen weise

Tausende Menschen werden zu den Protesten gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg und Baden-Baden erwartet. Doch warum? Felix Pahl erklärt, was es an der NATO zu kritisieren gibt.

Laut der Präambel ihres Gründungsvertrags dient die NATO der „gemeinsamen Verteidigung“. Das klingt erst mal gut – besser gemeinsam als allein, besser Verteidigung als Angriff. Es ist noch nicht so lange her, dass das Militär in Europa eher dem gegenseitigen Angriff als der gemeinsamen Verteidigung diente. So gesehen ist die NATO ein Schritt nach vorn. Warum also Kritik an der NATO?

Die Frage, ob die NATO denn wirklich immer der Verteidigung dient oder auch Angriffskriege führt, möchte ich hier ausklammern und stattdessen das Konzept der Verteidigung hinterfragen. Darin angelegt ist eine Unterteilung der Welt in ein Innen, das verteidigt wird, und ein Außen, aus dem Angriffe befürchtet werden. Darin unterscheidet sich das Konzept der gemeinsamen Verteidigung grundlegend von dem der kollektiven Sicherheit. Kollektive Sicherheit wird von allen für alle mit allen bereitgestellt, gemeinsame Verteidigung von einigen für sich gegen andere. Der Unterschied ist vergleichbar mit dem zwischen der Polizei eines Rechtsstaats und dem privaten Sicherheitspersonal einer gated community.

Internationales Recht und strukturelle Gewalt

Diese Analogie legt zwei Deutungen für die Existenz der NATO nahe. Zum einen steckt die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen noch in den Kinderschuhen; das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen ist sehr brüchig, und wo das zentrale Gewaltmonopol schwach ist, bilden sich zwangsläufig private Sicherheitsdienste wie die NATO, um partikulare Sicherheitsinteressen zu wahren. Aus dieser Sicht scheint die NATO eine Funktion zu erfüllen, bis es gelingt, sie durch ein funktionierendes globales System kollektiver Sicherheit überflüssig zu machen oder in einem solchen aufgehen zu lassen.

Doch die Analogie weist auch auf einen weiteren Aspekt hin. Die Menschen, die inmitten einer armen Umgebung in einer gated community leben, haben ein besonders gesteigertes Sicherheitsbedürfnis, weil sie ein starkes soziales und ökonomisches Ungleichgewicht aufrechterhalten und gegen eine gewaltsame Veränderung der Eigentumsverhältnisse durch die weniger Privilegierten verteidigen wollen. Hier greift eine ganz andere Bedeutung von „Verteidigung“, die auch in Bezug auf die NATO relevant ist.

Das internationale System ist in hohem Maß von struktureller Gewalt geprägt – von der Durchsetzung tödlich asymmetrischer Handelsregeln bis zur Stabilisierung und politischen Rückendeckung für repressive Regime, die eher den Interessen ihrer auswärtigen Schutzmächte als ihrer eigenen Bevölkerung dienen. Zwar ist diese strukturelle Gewalt relativ selten mit direkter militärischer Gewaltausübung verbunden; dennoch ist natürlich das übermächtige Gewaltpotential der starken Staaten im Hintergrund eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass dieses ungerechte System aufrechterhalten werden kann.

Dieser Zustand ist nicht nur unter dem Gerechtigkeitsaspekt zu bedauern. Der Bericht des von Kofi Annan eingesetzten High-level Panel on Threats, Challenges and Change, der den Begriff der kollektiven Sicherheit in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt hat, führt aus, wie es die Etablierung eines kollektiven Sicherheitssystems behindert, wenn die Mächtigsten nur ihre eigenen Sicherheitsinteressen wahrnehmen:

Differences of power, wealth and geography do determine what we perceive as the gravest threats to our survival and well-being. Differences of focus lead us to dismiss what others perceive as the gravest of all threats to their survival. Inequitable responses to threats further fuel division. Many people believe that what passes for collective security today is simply a system for protecting the rich and powerful. Such perceptions pose a fundamental challenge to building collective security today. Stated baldly, without mutual recognition of threats there can be no collective security. Self-help will rule, mistrust will predominate and cooperation for long-term mutual gain will elude us.

Kleinkind NATO

Die Grundhaltung der Verteidigung geht an diesen Einsichten vorbei. Sie perpetuiert eine Bedrohungsanalyse aus dem Kalten Krieg und nährt dabei häufig erst die Gefahren, die sie in der Welt wahrzunehmen meint. Sie verkennt, dass die Verteidigung der einen die Bedrohung der anderen ist. Aus dieser Haltung heraus werden astronomische Summen zur Bewahrung einer erdrückenden militärischen Übermacht ausgegeben, die in keinem Verhältnis zu den Mitteln stehen, die für die Bekämpfung der Ursachen von Konflikten zur Verfügung stehen.

Besonders deutlich wird die Fragwürdigkeit des Verteidigungsbegriffs der NATO im Bereich der Nuklear­waffen. Das derzeitige strategische Konzept der NATO postuliert, dass Nuklearwaffen für die Sicherheit der Mitgliedstaaten für die vorhersehbare Zukunft unerlässlich bleiben werden. Man sucht darin vergeblich nach einer Reflexion darüber, dass sich daraus unmittelbar ergibt, dass die Hälfte der Menschheit, die nicht mit einer Atommacht verbündet ist, in ständiger Unsicherheit lebt. Als Funktion der Nuklearwaffen wird die „Verhinderung von Zwang“ bezeichnet. Nicht reflektiert wird, ob unter diesen „Zwang“ auch die Durchsetzung einer gerechteren Weltordnung fallen würde. Die Nuklearwaffen sollen „die Risiken jeglicher Aggression unkalkulierbar“ machen und etwaige „Angreifer im Ungewissen“ lassen. Sicherheit durch gezielte Verunsicherung. So spricht, wer meint, dass Gewalt immer nur von den anderen ausgeht, und nicht sehen kann, dass die eigene „Verteidigung“ den anderen als Gewalt erscheint. Das strategische Konzept erinnert in mancher Hinsicht an Überlegungen eines egozentrischen Kindes, das noch nicht gelernt hat, die Perspektive anderer Menschen einzunehmen und in seinem Handeln zu berücksichtigen.

Zur Zeit findet eine globale Machtverschiebung weg von den NATO-Staaten statt. Nun könnte man meinen, dass eine Analyse der negativen Auswirkungen der NATO-Politik sich dadurch erübrigt und mit dem Aufkommen der schönen neuen multipolaren Welt, in der die NATO nur eine Mitspielerin unter vielen sein wird, getrost auf den Müllhaufen der (anti-)imperialistischen Geschichtsschreibung geworfen werden kann. Das wäre ein fataler Fehlschluss. Es ist alles andere als ausgemacht, ob in dieser neuen Welt nicht alle versuchen werden, inmitten von Klimachaos und Konflikten ihre eigene Haut zu retten, oder ob wir es schaffen werden, alle an einem Strang zu ziehen, um die globalen Probleme gemeinsam zu lösen. Noch haben die Menschen in den NATO-Staaten eine so große Machtkonzentration und einen so großen Anteil an den Ursachen der Probleme, dass sie durch konstruktives Verhalten der multipolaren Welt einen multilateralen, kooperativen Stempel aufdrücken könnten. Viel wird davon abhängen, ob sie sich rechtzeitig von dem Verteidigungsparadigma verabschieden und dem Rest der Welt mit offenen Armen, Augen und Ohren begegnen können.

Felix Pahl ist Sprecher der BAG Frieden

HDJ endlich verboten!

Pressemitteilung zu Vereinsverbot

Zu dem heutigen Vereinsverbot der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) erklärt Verena Schäffer, Sprecherin der GRÜNEN JUGEND NRW:
„Das Verbot der HDJ war überfällig. Die völkisch-nationalistische Jugendorganisation stand nicht zuletzt aufgrund von Personenüberschneidungen in der Tradition der Wiking Jugend (WJ), die bereits 1994 wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit der NSDAP und der Hitler-Jugend verboten wurde. Auch in NRW, insbesondere im Raum Ostwestfalen, war die HDJ aktiv.

Die HDJ hat Kinder und Jugendliche mit Freizeitangeboten gelockt, mit der Zielsetzung die braune Ideologie bereits im frühen Alter zu vermitteln. Einige der heute aktiven Rechtsextremen kommen aus Organisationen wie der HDJ. Diese Kaderschmiede für die Neonazis von morgen hätte schon längst verboten werden müssen!

Die GRÜNE JUGEND NRW fordert zudem, dass die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Verbotsfahren gegen die Partei NPD geschaffen werden. Ziel ist, die finanziellen, personellen und organisatorischen Strukturen der NPD zu zerstören!“

Schüler Union braucht besondere Förderung im Geschichtsunterricht!

„Nicht jedem das gleiche, sondern jedem das Seine“ schreibt die Schüler Union auf ihrer Kampagnenwebsite www.rettet-unsere-schulen.de. Dazu erklärt der Landesvorstand der GRÜNEN JUGEND NRW:

„Es ist nicht nur peinlich, sondern auch unsensibel, dass die Schüler Union den Satz „Jedem das Seine“ für eine politische Kampagne nutzt. Obwohl die Schüler Union mit ihrer Kampagne fordert, dass das Schulsystem so bleiben soll, wie es ist – weil es dreigliedrig angeblich am besten fördert – zeigt sie uns, dass die Förderung in ihrem speziellen Fall wohl doch nicht ausreicht. Im Umgang mit unserer deutschen Vergangenheit kann sie nicht einmal die Note ‚ausreichend‘ erreichen.

Pikant ist auch: David Winands, der Vorsitzende der Schüler-Union, ist Sohn des Staatssekretärs im Bildungsministerium, Günter Winands.

Wir fordern die Schüler Union auf, die Kampagnenwebsite umgehend vom Netz zu nehmen. Außerdem sollte sich der CDU-Nachwuchs dringend mit deutscher Geschichte, mit Faschismus und Rechtsextremismus auseinandersetzen. „Jedem das Seine“ prangte über dem Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald und steht somit sinnbildlich für die menschenverachtende Ideologie der Nazis.

Wir begrüßen ausdrücklich die Verurteilung der Verwendung des Spruches durch den CDU-Generalsekretärs Wüst. Dass die CDU nun die Schüler Union in die Schranken weisen musste, spricht jedoch Bände.

Trotzdem ist festzustellen: Die angesprochene Kampagne „Rettet unsere Schulen“ zeugt davon, wie die Union und ihre Jugendorganisationen ticken. Es ist enttäuschend, dass die Schüler Union sich in der Bildungspolitik programmatisch nicht weiterentwickelt. Stattdessen übernimmt sie ohne Reflektion die rückschrittlichen und ideologisch verblendeten Positionen ihrer Mutterpartei.“

Grüner New Deal

von Dr. Gerhard Schick, MdB

Wenn’s doch „nur“ eine Finanzkrise wäre. Wenn’s doch „nur“ darum ginge, die Wirtschaft anzukurbeln. Aber die Herausforderung ist wesentlich größer.
Wir haben es mit einer tiefgreifenden Krise unserer Wirtschaftsordnung zu tun, während wir gleichzeitig mit hoher Geschwindigkeit in die Klimakrise rasen und die Milleniumsziele verfehlen, also die weltweit vereinbarten Ziele unter anderem zum Abbau von Armut und Unterernährung.

Und genau deswegen braucht es einen Grünen New Deal. Mit diesem Konzept knüpfen wir Grünen, aber auch viele Vordenker in anderen Staaten, an die grundlegende Veränderung der Wirtschaft der Vereinigten Staaten in den 1930-er Jahren an. Damals, in der Weltwirtschaftskrise, baute US-Präsident Roosevelt seinen New Deal auf drei Säulen: Er regulierte die Finanzmärkte völlig neu, investierte Milliarden in Zukunftsprojekte – und er sorgte für umfangreiche Sozialreformen.

Die tiefgreifende Krise auf den Finanzmärkten erfordert nun eine völlige Neuausrichtung bei Banken, Fonds, Versicherungen und Ratingagenturen. Mit ein paar Nachjustierungen vorhandener Regeln wird es nicht getan sein. Europa braucht eine Finanzaufsicht für grenzüberschreitend tätige Institute. Steuer- und Regulierungsoasen müssen ausgetrocknet, eine Finanzumsatzsteuer eingeführt werden. Ratingagenturen und bisher unregulierte Fonds müssen einer konsequenten Regulierung unterworfen werden.

Der Grüne New Deal schließt aber auch eine neue Weltfinanzarchitektur ein: Wir brauchen einen Wirtschaftsrat bei den Vereinten Nationen, der demokratisch legitimiert ist, sowie eine grundlegende Reform des Währungssystems.

Denn an der Basis der jetzigen Krise liegen wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Währungsräumen. Und schließlich müssen die globalen Finanzmärkte wieder auf ihren eigentlichen Zweck zurückgeführt werden: die Finanzierung von Investitionen, die Bereitstellung von Liquidität und – in verantwortbarem Maß – die Übernahme von Risiken.

Doch diese Maßnahmen allein helfen noch nicht heraus aus der wirtschaftlichen Krise, die inzwischen den ganzen Globus erfasst hat. Ich bin überzeugt, dass die Wirtschaft nur durch einen neuen Impuls aus der Krise geführt werden kann, der eine Antwort auf Klimakrise und Bedrohung der Biodiversität gibt.

Diesen Impuls kann nur eine neue, nachhaltige Wirtschaftsweise geben. Eine neue Energiebasis – erneuerbare Energien statt Atom, Kohle, Öl und Gas –, höhere Energieeffizienz sowie Kreislaufwirtschaft sind dabei zentrale Elemente.

Investitionen, die heute im Rahmen von Konjunkturprogrammen gemacht werden, müssen von diesem Zielpunkt aus definiert werden. Deshalb brauchen wir ein ökologisches Investitionsprogramm. Was Bundes- und Landesregierung jetzt vorgelegt haben, ist davon allerdings etwa so weit entfernt wie die Abwrackprämie vom Aufbruch in umweltfreundliche Mobilität.

Bleibt die dritte Säule des Grünen New Deal: der soziale Ausgleich. Roosevelts Vorbild, die Einführung von Mindestlöhnen, gehört hier sicher dazu. Ebenso wie die Einführung einer Bürgerversicherung und erhebliche Investitionen in die Bildung.

Hinzu kommt die internationale Dimension: Ein effektives globales Klimaabkommen indes ist ohne solidarischen Ausgleich, Technologietransfer und Veränderungen in der Handelspolitik zwischen Nord und Süd kaum denkbar.

Mit dem Grünen New Deal besteht also die Chance, die Wirtschaft für Jahrzehnte zu prägen. Wir geben damit eine Antwort auf die Herausforderungen gleich dreier globaler Krisen: der Finanz-, der Klima- und der Ernährungskrise. Meines Erachtens werden dezentrale Produktionsweisen und Formen solidarischer Ökonomie einen größeren Stellenwert haben als in der überkommenen Industriegesellschaft.

Deswegen ist der Grüne New Deal nicht gleichzusetzen mit Öko-Kapitalismus oder Greenwashing, sondern er steht für eine tiefgreifende Veränderung unserer Wirtschaft, die es angesichts der Kräfte des Beharrens zum Beispiel in Energie- und Automobilkonzernen zu erkämpfen gilt.

Genau dafür bietet diese Krise eine Chance. Und umgekehrt ist die konsequente Ökologisierung der Wirtschaft einer der wenigen wirklich gangbaren Wege aus der Krise. Es wäre fatal, diese Chance nicht zu nutzen.

Gerhard Schick ist Finanzpolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion