8. März 2013

Interview zum Thema Sexismus mit Sven Lehmann



Sven Lehmann ist Landesvorsitzender der Grünen in NRW und beantwortete der Grünen Jugend NRW einige Fragen zur aktuellen Sexismus-Debatte.

GJ NRW: Ein #aufschrei geht gerade durch Deutschland. Wie stehst Du zur laufenden Sexismus-Debatte und wo erlebst Du Alltagssexismus?

Sven Lehmann: Der #aufschrei war längst überfällig! Es ist gleichermaßen erschreckend, wie alltäglich Sexismus ist, und ermutigend, dass immer mehr Menschen darüber wissen und dagegen angehen können. Sexismus – der übrigens alle Geschlechter betrifft – kommt manchmal platt daher („Typisch Frau!“), meistens aber sehr subtil. Wenn Mädchen schon früh manche Dinge weniger zugetraut werden als Jungen, da liegen die Wurzeln des Sexismus.

GJ NRW: Nehmen Männer die jetzige Sexismusdebatte deiner Wahrnehmung nach mit Respekt wahr?

Sven: Es gibt ja nicht „die Männer“. Es gibt Alt- und Neo-Machos, die das Problem wohl nie verstehen werden, weil sie es als „Gedöns“ abtun. Immer mehr Männer aber haben verstanden, dass es auch sie betrifft, wenn Frauen wegen ihres Geschlechtes in Gefahr geraten, sich bedrängt oder abgewertet fühlen. Ich zum Beispiel möchte nicht, dass Frauen nachts auf der Straße Angst bekommen müssen, weil ein Mann ihnen entgegen kommt. Ich möchte, dass Frauen Röcke tragen können, ohne dass ihnen Motive unterstellt werden. Und ich möchte, dass Männer Macht nicht benutzen, um Frauen das Gefühl zu geben, sie seien Freiwild.

GJ NRW: Du bist Initiator des „Grünen Männermanifests“ (www.maennermanifest.de). Glaubst Du dieses neue Männerbild, also ein neues Rollenverständnis, kann unsere Gesellschaft auch in Bezug auf Sexismus verändern?
Und wie kann Politik Sexismus thematisieren und vor allem verringern?

Sven: Letztlich ging es mit dem Männermanifest ja um ein emanzipiertes Männerbild. Und selbstverständlich kann das auch politisch gefördert werden: durch eine Geschlechterpolitik auch für Jungen und Männer, durch eine bessere Gesundheitsförderung, durch aktive Väterförderung und eine andere Zeitpolitik, durch mehr Männer in Care-Berufen und und und. Das alles hat nicht automatisch Auswirkungen darauf, wie Männer und Frauen miteinander umgehen. Aber es verändert das Verhalten innerhalb der Peer Group „Mann“. Und: Neue Männer braucht das Land – noch immer!

GJ NRW: Vermisst Du eine wichtige Stimme in dieser wichtigen Debatte? Wenn ja, wessen Stimme?

Sven: Naja, die Debatte ist ja spannenderweise eine Graswurzel-Debatte, die durch Twitter hochgespült wurde. Man hat gesehen, wie unbeholfen und befremdet viele „klassischen“ Medien und Talkshows damit umgegangen sind. Ich hätte spannend gefunden, zum Beispiel von Angela Merkel zu hören, ob sie alltäglichen Sexismus im Parlament wahrnimmt. Oder auch von mehr männlichen Spitzengrünen, ob der #aufschrei ihren Blick auf Sexismus innerhalb der Politik und auch innerhalb der Partei verändert hat. Denn: Letztlich ist keine noch so gleichberechtigte und aufgeklärte Organisation davor geschützt, Menschen aufgrund des Geschlechtes „anders“ zu behandeln oder auch abzuwerten.

GJ NRW: Und zum Schluss: Wo können die Grünen Deiner Meinung nach in dieser Debatte von der Grünen Jugend lernen? – Oder gar umgekehrt?

Sven: Die Grüne Jugend ist in ihrer Analyse der Geschlechterverhältnisse radikaler und klarer als die Partei. Sie ist deutlicher in ihrer Forderung nach Dekonstruktion oder – wie Sophie Karow es auf dem Grünen Geschlechtergipfel so treffend gesagt hat: „Fuck gender, be yourself!“. Von dieser Klarheit müssen die Grünen weiter lernen. Aber zur Analyse der Verhältnisse gehören auch politische Maßnahmen. Wie steht die Grüne Jugend zum Beispiel zum neuen Sorgerecht? Oder zur Aufteilung der Elternzeit-Monate? Oder zur Notwendigkeit einer eigenen, emanzipatorischen Männerpolitik? Ich glaube es gibt noch viele Baustellen, die wir gemeinsam bearbeiten sollten!



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