31. Oktober 2022

Sicherheit für alle



Es ist Montagnachmittag am 8. August 2022. Ein minderjähriger Jugendlicher sitzt
mit Suizidabsichten im Innenhof seiner Wohngruppe. Nachdem Betreuer*innen ihn
nicht beruhigen konnten, handelten sie nach ihren Anweisungen: Sie rufen die
Polizei. Die Dortmunder Beamt*innen kommen zu zwölft, ihre primären Werkzeuge
sind Pfefferspray und Taser, auch die Schusswaffe kommt zum Einsatz, obwohl der
Jugendliche in erster Linie nur sich selbst gefährdet hat. Nach drei Minuten ist
alles vorbei, und ein Jugendlicher wurde von der Polizei erschossen. Die
Ermittlungsarbeiten ergeben, dass wahrscheinlich absolut unverhältnismäßig
gehandelt wurde.

Klar ist, dass das kein Einzelfall war. Immer wieder sehen wir, dass gerade
migrantisierte Menschen und Personen in psychischen Ausnahmesituationen von der
Polizei oft keine Hilfe erwarten können. Die Frage nach dem “Warum?” solcher
Taten lässt sich zurückführen auf zwei wesentliche Erkenntnisse, denen dringend
politisch organisatorische Maßnahmen folgen müssen:

Wir müssen zum einen erkennen, dass Polizeibeamt*innen bei psychischen
Ausnahmesituationen und Notlagen nicht die richtigen Ansprechpartner*innen sein
können. Außerdem müssen wir feststellen, dass die Polizei in NRW ein Problem mit
Rassismus und extrem rechten Tendenzen in den eigenen Reihen hat.

Die Landesregierung und das CDU-Innenministerium sind gefordert, die notwendigen
Schritte zur Bekämpfung längst bekannter und bedrohlicher Fehlentwicklungen in
ihrer Behörde jetzt zu gehen, damit sich der Fall Dortmund, genauso wie die
Fälle Recklinghausen, Frankfurt, Köln und viele mehr, nicht wiederholen!

Aufklärung statt Aufrüstung

Über Jahre hinweg wurde die Polizei aufgerüstet. Seit Mitte 2018 gehören zwei
Maschinenpistolen mit zur Grundausrüstung eines Funkstreifenwagens. Der Gebrauch
von Tasern wurde sukzessive erweitert, die Auswertung der Testphase findet erst
2024 statt. Befürworter argumentieren, es reiche die Drohung, jene Waffen
einzusetzen, um mehr Sicherheit zu gewährleisten. Das Gegenteil beweist sich
allzu häufig, wodurch das “mildere Mittel“ nur zu einer weiteren Eskalation
führt.

Außerdem ist die Gefahr der Todesfolge bei einer Taser-Nutzung hoch, z.B. bei
Menschen mit Herzerkrankungen, anderen Vorerkrankungen oder in psychischen
Ausnahmesituationen. Daher fordern wir:

· Gezielte Abrüstungspolitik: Pfefferspray, Taser, Maschinenpistolen u.a. lösen
keine Probleme, sie schaffen welche!

· Sofortiges Ende des Pilotprojekts zum Tasereinsatz,

• Die Arbeit in multiprofessionellen Teams: Sozialarbeiter*innen,
Psycholog*innen u.a. können in vielen Situationen weitaus besser interagieren
und zur Deeskalation beitragen!

• Eine regelmäßige Evaluation der Einsatzmittel: Ohne Datengrundlage keine
Aussage über die Wirksamkeit eingesetzter Mittel. Klar ist auch, dass diese
Evaluationen in der Folge auch Konsequenzen haben müssen.

Wer kontrolliert hier wen? Unabhängige Kontrolle ausbauen!

Polizeigewalt kennt viele Facetten und wird ganz wesentlich durch fehlende
unabhängige Kontrollmechanismen begünstigt. Aufgrund nicht bzw. kaum existenter
Beschwerdestellen müssen Opfer häufig mit den entstandenen Schmerzen und
Traumata weiterleben, ohne dass die erlebten Handlungen folgen haben.
Polizeigewalt, die insbesondere migrantisierte Menschen trifft, darf nicht
weiter folgenlos bleiben. Zur wirksamen Bekämpfung fordern wir daher:

• Die konsequente Verfolgung von Polizeigewalt und rechten Netzwerken: Die
Entstehung und Verbreitung menschenverachtenden Gedankenguts darf nicht länger
mit der Einzelfall-Ausrede hingenommen werden.

• Eine unabhängige Ermittlungsstelle zur Verfolgung jedweden Fehlverhaltens: Nur
mit umfassenden Ermittlungsbefugnissen einer unabhängigen Stelle kann Hinweisen
unbefangen nachgegangen werden. Hier muss sich auch der Bund bewegen und die
Strafprozessordnung entsprechend anpassen. Der Druck dazu muss auch von der
Landesregierung in NRW kommen!

• Bis zur Anpassung der Bundesgesetzgebung müssen Staatsanwaltschaft und
Polizeipräsidium mit größtmöglicher räumlicher und personeller Distanz zur
betreffenden Polizeidienststelle Ermittlungen führen. Dabei muss der Grundsatz
der zufallsbedingten Verteilung ohne Ausnahme gelten!

• Gleichzeitige Stärkung der parlamentarischen Kontrollen und Unterstützung bei
der Schaffung kommunaler Antidiskriminierungsstellen

• Kritische Polizeiforschung und Datenanalyse: Nur mit systematischer
wissenschaftlicher Grundlage können Instrumente gegen Rassismus und rechte
Netzwerke innerhalb der Polizei sinnvoll eingesetzt werden. Dazu gehören vor
allem Studien zu Rassismus und anderen Diskriminierungsformen mit
intersektionalen Ansatz.

Wenn die Polizei kommt, ist es schon zu spät

Je mehr sich der politische Fokus dahingehend verschiebt, die Polizei als
alleinige Problemlöserin zu sehen, desto weniger werden etwaige Gründe für
vermeintliches Fehlverhalten in den Blick genommen. Zu häufig werden Menschen
kriminalisiert, die unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Realitäten leiden und
denen gezielte sozialpolitische Maßnahmen weitaus besser helfen würden, als eine
entgegengestreckte Waffe. Eine wirksame Bekämpfung von Armut muss daher für uns
immer oberste Priorität haben. Denn viele Straftaten werden nur begangen, weil
sich Menschen den Lebensunterhalt anders nicht leisten können. Dieses Problem
müssen wir systemisch angehen. Wir fordern:

• Armut darf nicht länger kriminalisiert werden: Straffreiheit für Fahren ohne
Ticket und vergleichbare Bagatelldelikte

• Mehr Geld für Stadtteilarbeit: Streetworker*innen können mit ihrer Arbeit vor
Ort weitaus mehr erreichen als ein Streifenwagen, der durch die Straße fährt.

• Umwidmung von Polizeigeldern für die gezielte Anstellung von
Sozialarbeiter*innen und Förderung kommunaler Antidiskriminierungsprojekte

Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der sich niemand aufgrund des eigenen
Namens oder des Aussehens fürchten muss. Außerdem haben alle Menschen die Hilfe
verdient, die sie benötigen. Die Polizei zeigt zu häufig, dass sie nicht „Freund
und Helfer“ ist, sondern mit der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung und
Machtverhältnisse betraut ist.

Als GRÜNE JUGEND NRW benennen wir den dringenden Handlungsbedarf klar. Wir
kämpfen gegen rassistische Strukturen und für bessere Lebensverhältnisse, die
alle Menschen mitdenken. Mit nichts weniger werden wir uns zufriedengeben!



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