Füreinander einstehen – Armut umfassend bekämpfen
Seit einigen Jahren wird in der Öffentlichkeit wieder vermehrt über das Thema Armut und die Möglichkeiten zur Bekämpfung diskutiert und gestritten. Armut bedeutet abseits der Gesellschaft zu stehen, an ihr nicht teilhaben zu können, oft aufgrund ungenügend finanzieller Mittel. Dabei ist Armut nicht nur ein Mangel an finanziellen Ressourcen, sondern vielmehr ein umfassender Mangel an Verwirklichungs- und Teilhabechancen, der zum Teil über Generationen hinweg weitergegeben wird. Die Aufgabe guter Sozialpolitik ist es, die Spirale der Armut zu durchbrechen und sozial benachteiligten Menschen wieder Chancen, Möglichkeiten und Perspektiven zu geben.
Wir wollen aufzuzeigen, an welchen Stellen die gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland für eine große Zahl von Menschen nicht möglich ist. Wir weisen auf politische Ansätze hin, wie die Gesellschaft gerechter gestaltet werden kann. Als Jugendverband richten wir dabei unsere besondere Aufmerksamkeit auf die Kinder und Jugendlichen in Deutschland.
Wir setzen zwar auf staatliche Instrumente, der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir treten für eine solidarische Gesellschaft ein, in der Menschen für ihre MitbürgerInnen Verantwortung übernehmen und in der Schwächere von Stärkeren unterstützt werden. Einen Beitrag zur Gesellschaft kann und soll jedeR Einzelne nach den jeweiligen Möglichkeiten leisten. Wir wehren uns gegen die zunehmende Individualisierung der Lebensrisiken: Der Staat und die Gesellschaft müssen Lebenssituationen wie Bildung, Kindererziehung, Familiengründung und -pflege ebenso unterstützen wie bei Krankheit, Armut und sonstige Benachteiligungen.
Soziale Problemlagen erkennen
Auch wenn es in Deutschland ein im internationalen Vergleich sehr ausgeprägtes Sozialsystem gibt, nimmt die Diskussion über soziale Gerechtigkeit, über abgehängtes „Prekariat“ und eine wachsende Unterschicht an Fahrt auf. Gleichzeitig wird das Fundament unseres Sozialsystems immer brüchiger. Nach dem Sozialbericht NRW von 2007 sind etwa 14,3 Prozent der Bevölkerung inzwischen von Armut betroffen und müssen ihren Lebensunterhalt mit weniger als 615 Euro monatlich bestreiten. Am Stärksten trifft diese Entwicklung Erwerbslose, MigrantInnen, Geringqualifizierte, so wie Kinder und Jugendliche, besonders jene von Alleinerziehenden. Absurderweise ist jedeR Dritte von Armut Betroffene erwerbstätig, davon hat jedeR Sechste sogar eine Vollzeitstelle. Gerade im Niedriglohnbereich werden seit Jahren massiv Vollzeitstellen in geringfügige oder befristete Beschäftigungen umgewandelt. Besonders Frauen sind oft zum Nebenerwerb in qualitativ schlechten Aushilfsjobs gezwungen. So drücken Unternehmen nicht nur ihre Kosten, sondern zerstören auch das gesellschaftlich wichtige Klima der sozialen Sicherheit.
Der gesellschaftliche Reichtum konzentriert sich immer stärker in wenigen Händen. Die reichsten zwanzig Prozent der Bevölkerung in NRW haben ein zehntausendmal höheres Vermögen als die ärmsten zwanzig Prozent. So geht schon seit einigen Jahren die Schere zwischen Arm und Reich stärker auseinander. Unser Steuersystem ebenso wie die Sozialversicherungen (Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) leisten der Umverteilung von unten nach oben noch weiteren Vorschub. Dem treten wir entgegen und stehen für eine gerechte Gesellschaft ein. Die Lasten müssen zwischen Reichen und Armen, zwischen Stärkeren und Schwächeren fair verteilt werden, um Armut nachhaltig zu bekämpfen und zu verhindern!
Arbeit muss sich lohnen
Befristete Arbeitsverträge, Zeitarbeit und schlecht bezahlte Beschäftigung zum Beispiel in Minijobs verschärfen das Armutsrisiko weiter. Wer Vollzeit arbeitet, muss davon auch leben können! Die GRÜNE JUGEND NRW steht hinter dem Lohnabstandsgebot, welches besagt, dass das Einkommen einer Vollzeitarbeit oberhalb des Sozialhilfesatzes liegen muss. Mit diesem Vergleich darf aber nicht bei den Bedürftigen gekürzt werden, im Gegenteil: das Problem sind zu niedrige Löhne, denn gerade im Niedriglohnbereich versuchen ArbeitgeberInnen oft, die Löhne immer weiter zu drücken. Wir treten deshalb für einen armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn außerhalb der Tarifvereinbarungen ein. Damit wird nicht die Tarifautonomie untergraben, sondern lediglich eine konkrete Lohnuntergrenze festgesetzt, um sittenwidrige Löhne zu bekämpfen. Bei der Höhe orientieren wir uns an der EU-Armutsdefinition und fordern einen Mindestlohn von wenigstens 7,50 Euro brutto pro Stunde, der jährlich an die Preissteigerungen angepasst werden muss. Darüber hinaus können je nach Branche natürlich weiterhin höhere Mindestlöhne festgelegt werden.
Auch wenn Arbeitslosigkeit das Armutsrisiko stark erhöht, darf erfolgreiche Sozialpolitik nicht schlicht auf der Schaffung und Vermittlung von Arbeitsplätzen beruhen. Angebote sind wichtig, dabei dürfen Menschen aber nicht über finanzielle Sanktionen zur Arbeit gezwungen werden. Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“) müssen so ausgestaltet sein, dass sie einen tatsächlichen Qualifizierungseffekt für die / den Arbeitslosen bedeuten. Solche Maßnahmen müssen grundsätzlich auf der Basis von Freiwilligkeit erfolgen. Die Kontrolle dieser Grundsätze muss vor Ort durch öffentliche Stellen geregelt werden.Wir setzen uns stattdessen für positive finanzielle Anreize in Form von verbesserten Zuverdienstregelungen ein. Egal ob mit Arbeitslosengeld II (ALG II / „Hartz IV“), Bafög, Kindergeld oder Minijob: Eigenes Einkommen lohnt sich immer nur begrenzt, da im Gegenzug oft die Zuschüsse gekürzt werden oder ganz entfallen. Anstatt über vermeintlich faule Sozialschmarotzer zu schimpfen, muss die Politik hier ansetzen und Zuverdienste fördern.
Als Ausweg fordert die GRÜNE JUGEND NRW die Einführung einer negativen Einkommensteuer, die eigenen Zuverdienst honoriert, mit hohem, existenzsichernden Freibetrag. Liegt die theoretische Steuerbelastung (die zu zahlenden Steuern je nach eigenem Einkommen) unterhalb des Freibetrages, dann ist keine Steuerzahlung notwendig, sondern das Finanzamt zahlt die Differenz zwischen Freibetrag und Steuerschuld zusätzlich zum eigenen Einkommen als „negative Einkommensteuer“ aus. Das eigene Einkommen muss nur zu einem geringen Teil versteuert werden. Insgesamt bleibt so mit eigenem Einkommen deutlich mehr als nur der Freibetrag, den auch arbeitslose Menschen erhalten. Im Gegenzug werden hohe Einkommen über dem Freibetrag und endlich auch Einkommen aus Vermögen stärker belastet.
Existenzsicherung ist ein Grundrecht
Von Armut bedroht sind besonders EmpfängerInnen von Sozialleistungen, insbesondere ALG II-BezieherInnen – schuld daran sind die viel zu niedrigen Regelsätze. Wir bekräftigen unsere Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, dessen Ziel ein selbstbestimmtes Leben aller Menschen in Würde ist. Wir sind uns aber bewusst, dass es ein Projekt für die Zukunft ist. Deshalb unterstützen wir die Forderungen der Sozialverbände, die Regelsätze sofort für Erwachsene auf 420 Euro und für Kinder auf 300 Euro anzuheben. Diese erste Erhöhung ist jedoch nicht ausreichend. Die Regelsätze müssen dringend neubestimmt und ehrlich an die Bedarfe der EmpfängerInnen angepasst werden – es darf nicht sein, dass erst geschaut wird, welche Mittel den öffentlichen Haushalten zur Verfügung stehen und sich daraus die Höhe der Regelsätze ergibt.
Wir fordern, die ehemaligen alltagsbezogenen Einmalbeihilfen in einer Erhöhung der Regelsätze aufgehen zu lassen. Dieser Betrag muss es ermöglichen, Geld für Anschaffungen selbst anzusparen. Für Großanschaffungen muss es wieder einmalige Beihilfen geben. Die dazu notwendige Bedarfsprüfung muss einfach nur für die Betroffenen menschenwürdig ausgestaltet werden. Wir fordern darüber hinaus die Einführung von Lebenslagenspezifischen Einmalbeihilfen.
Der einheitliche Kinderregelsatz muss so ausgestaltet sein, dass er sich am maximalen Bedarf orientiert.
Eine weitere Ungerechtigkeit liegt darin, dass Arbeitslose aktuell nahezu ihre gesamten Ersparnisse aufbrauchen müssen, bevor sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Die Grenzen für das Schonvermögen müssen deshalb dringend angehoben werden, denn die heutige Regelung verhindert einerseits anständige Vorsorge fürs Alter und fördert andererseits massiv den gesellschaftlichen Abstieg.
Zwei spezielle Probleme sind zudem die Altersarmut und die chronische Unterfinanzierung der Rentenkasse. Auch durch die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre werden statt Abhilfe zusätzlich neue Probleme geschaffen. Die starre Festlegung auf ein übergreifendes Alter verkennt schon allein die Tatsache, wie weit die körperliche Belastung bei unterschiedlichen Berufen auseinander liegt. Die GRÜNE JUGEND NRW tritt daher für ein flexibles Renteneintrittsalter ein, das je nach Branche differenziert werden muss und so unterschiedliche Belastungen und Interessen von Berufsgruppen berücksichtigt. Daneben muss (als ein Schritt zum Grundeinkommen) umgehend eine Grundrente eingeführt werden, die allen RentnerInnen unabhängig von vorherigen Einzahlungen eine Rente in existenzsichernder Höhe sichert.
Eigentum verpflichtet
Die beiden Volksparteien diskutieren aktuell wieder über eine Reform der Erbschaftsteuer, nachdem das Bundesverfassungsgericht die derzeitige Gesetzeslage für nicht tragbar erklärte. Heute werden Geld- und Wertpapiererbschaften stärker belastet als das Erbe von sonstigem Eigentum, also zum Beispiel Grundstücken, Häusern oder Firmen. Anstatt über eine gerechte Reform nachzudenken, fordern PolitikerInnen der CDU/CSU jetzt plump die Abschaffung der gesamten Steuer. Dabei werden ausgerechnet Erbschaften im internationalen Vergleich in Deutschland sehr gering belastet, was nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich auseinander treibt, sondern auch soziale Klassen über Generationen hinweg verankert, denn Erbschaften sind gesellschaftlich sehr ungleich verteilt.
Nach Schätzungen werden jedes Jahr 180 Milliarden Euro vererbt, Tendenz steigend. Der Anteil der Erbschaftssteuer an den gesamten Steuereinnahmen in Deutschland liegt allerdings nur bei einem halben Prozent oder gut vier Milliarden Euro. Die GRÜNE JUGEND NRW sieht es als soziale Ungerechtigkeit an, dass vererbtes Vermögen so gering besteuert wird. Deshalb setzen wir uns für eine Reform der Erbschaftssteuer ein, die das Aufkommen und so die Vermögensbelastung steigert.
Eine angemessen hohe Besteuerung von Erbschaften stellt keineswegs eine Neidsteuer dar, sondern wirkt vielmehr der Verfestigung sozialer Ungleichheiten entgegen. Gleichzeitig fordern wir ausdrücklich, dass die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Verwendung der Gelder für gemeinnützige Zwecke erweitert werden, Deshalb setzen wir uns für Modelle ein, Erbschaften steuerbegünstigt in die Gründung gemeinnütziger Stiftungen fließen zu lassen. In Ländern wie Großbritannien oder den USA ist besonders dieses private Engagement für die Gesellschaft recht verbreitet, wohingegen das Stiftungswesen in Deutschland gerade noch in den Kinderschuhen steckt. Es besteht jedoch ein großes Bedürfnis nach solcher Förderung, mit der natürlich kein Rückzug staatlicher Subventionen einhergehen darf. Wir brauchen eine Reform des Stiftungswesens, welche die Einbindung von wohlhabenden Bevölkerungsschichten in die soziale Verantwortung gewährleistet und fördert!
Öffentliche Infrastruktur bewahren und ausbauen
Wir setzen insbesondere einen Schwerpunkt auf die öffentliche Infrastruktur, anstatt lediglich auf individuelle Transfers zu vertrauen. Seit geraumer Zeit findet ein Ausverkauf öffentlichen Eigentums auf allen Ebenen statt. Gleichzeitig zieht sich die öffentliche Hand durch Privatisierung wichtiger infrastruktureller Kernbereiche immer mehr aus ihren Aufgaben zurück. Das betrifft örtliche Schwimmbäder und Kultur- und Jugendzentren ebenso wie die kommunalen Stadtwerke oder auch Wohnungsbaugesellschaften wie die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG). Der Rückzug des Staates dient allein der kurzfristigen Haushaltsbeschönigung – das Nachsehen haben dabei besonders ärmere und jüngere Menschen, die oftmals auf öffentliche Angebote angewiesen sind. Deshalb wendet sich die GRÜNE JUGEND NRW ganz klar gegen den Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur.
Ein weiteres Problem ist der Sparwahn der Landes- und Bundesregierung. Haushaltskürzungen betreffen in erster Linie soziale Projekte und gehen zu Lasten öffentlicher Investitionen in Bildung und Kultur. Die GRÜNE JUGEND NRW kritisiert diese kurzsichtige Politik und fordert die Verantwortlichen dazu auf, besonders im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit, nicht weiter auf notwendige Ausgaben zu verzichten.
Armut ernsthaft bekämpfen
Die Debatte über Hartz IV erweckt oft den Eindruck, Armut sei per Gesetz verordnet oder könne per Gesetz abgeschafft werden. Dabei gab es Armut schon immer und wo es Reichtum gibt, da wird sich auch relative Armut nicht verhindern lassen. Wir streiten trotzdem für eine Gesellschaft, in der die Unterschiede zwischen Arm und Reich möglichst klein gehalten werden und nicht die Herkunft oder der Geldbeutel der Eltern über die eigene Zukunft entscheiden. Alle Menschen in unserer Gesellschaft haben das gleiche Recht auf Teilhabe, auf Entwicklung und Entfaltung. Armut ist zurzeit regelrecht ein Brandmal, das unsere Gesellschaft künstlich spaltet. Dabei geht es oft nicht nur um mangelndes Geld, sondern vielmehr um Mangel an sozialer und kultureller Integration.
Wir wollen Armut ernsthaft und nachhaltig bekämpfen und so dem Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenwirken. Das erreichen wir nicht allein, indem wir die Rücknahme der Agenda 2010 fordern oder ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Staatliche Leistungen sind wichtig im Kampf gegen Armut und vor allem die staatliche Sozialarbeit muss weiter gestärkt werden, beides kann und soll aber zivilgesellschaftliche Hilfe nicht ersetzen. Unzählige soziale Einrichtungen wie Krippen, Kindergärten, Schulen, Jugendzentren, Heime für Obdachlose oder Altersheime werden schon heute von nicht-staatlichen Organisationen wie Kirchen, nachbarschaftlichen Initiativen oder Sozialverbänden getragen. Auch das enorme ehrenamtliche Engagement vieler BürgerInnen ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Ehrenamt bindet viele Menschen in die soziale Arbeit ein, schafft Vertrauen untereinander und hilft soziale Kluft zu überwinden.
Zivilgesellschaft stärken
Die GRÜNE JUGEND NRW befürwortet deshalb die Gründung von nicht-staatlichen Kindergärten und Schulen in gemeinnütziger Trägerschaft, z.B. von Elterninitiativen. Diese dürfen aber weder zu Rendite-orientierten Unternehmen werden, noch durch Elternbeiträge oder Schulgeld nur einer reichen Elite offen stehen. Deshalb muss auch der Zugang zu diesen privaten Institutionen kostenlos gestaltet und in gleichem Maße wie staatliche Einrichtungen vom Land gefördert werden. Schon heute finanziert das Land NRW 94 Prozent der Kosten von Privatschulen, die sich gleichzeitig an den Lehrplänen und Bestimmungen des Landes orientieren müssen. Wir wollen die Vielfalt an Unterrichtsmethoden und somit die Möglichkeit, individueller auf die einzelnen SchülerInnen einzugehen, fördern, wenn sich diese am Wohle des Kindes orientieren. Deshalb müssen auch öffentliche Schulen möglichst große Autonomie in der Verwendung ihrer Mittel und der Gestaltung des Unterrichtes erhalten.
Den Trend zu mehr Privatschulen in NRW hat sich in den letzten Jahren verstärkt und muss durchaus kritisch betrachtet werden, denn die Gefahr Ungerechtigkeiten im Bildungssystem durch „Eliteschulen“ weiter zu verschärfen ist groß. Der Staat darf sich nicht aus der Pflicht ziehen, sondern muss endlich kostenlose Bildung für alle Kinder und Jugendliche anbieten. Wir lehnen den Trend hin zu einer Elitebildung als gesellschaftliche Ungerechtigkeit ab. Statt einige Privilegierte zu bevorteilen, müssen soziale Nachteile ausgeglichen werden.
Jedes vierte Kind in NRW ist arm
In Nordrhein-Westfalen leben laut dem Sozialbericht NRW 2007 über 815.000 Kinder in einkommensarmen Haushalten, jedes vierte Kind gilt als arm. Besonders hoch ist das Armutsrisiko für Kinder und Jugendliche, deren Eltern arbeitslos oder alleinerziehend sind, sowie für solche mit Migrationshintergrund. Laut der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit beziehen in NRW 700.000 Menschen unter 25 Jahren ALG II, 460.000 Kinder unter 15 Jahren beziehen Sozialgeld.
Besonders Kinder und Jugendliche sind VerliererInnen der Hartz-Reformen. Sah das alte Bundessozialhilfegesetz (BSHG) neben einer nach Altersgruppe gestaffelten Regel- und Bekleidungspauschale auch Einzelleistungen etwa für den Schulbedarf oder bei Krankheitskosten vor, orientieren sich die neuen Regelsätze am (viel zu niedrigen!) Satz für einen männlichen Alleinstehenden – Kinder bis 13 Jahre erhalten mit 207 Euro etwa 60%, Jugendliche mit 276 Euro etwa 80% seines Regelsatzes. Für Ernährung sind 2,55 Euro täglich, für Kleidung 20,56 Euro monatlich und für sämtliche andere Ausgaben wie Schulbedarf und -ausflüge gerade einmal 2,62 Euro pro Tag vorgesehen.
Die Hartz IV-Leistungen für Kinder und Jugendliche reichen bei weitem nicht aus, um ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Gesunde Ernährung ist faktisch nicht finanzierbar, geschweige denn eine Mitgliedschaft im Sportverein oder Kinobesuche. Folgen der Armut sind häufig gesundheitliche Probleme, schlechte Bildungszugänge und gesellschaftliche Isolation. Die Entwicklungschancen eines Kindes werden damit massiv eingeschränkt. Die GRÜNE JUGEND NRW fordert die Einführung eines eigenen Regelsatzes für Kinder und für Jugendliche, der an die realen Bedürfnisse je nach Entwicklungsstand angepasst sein muss. Auf Basis dieses Regelsatzes setzen wir uns für die Einführung eines Kindergrundeinkommens ein, das anstelle des bisherigen Kindergeldes tritt und unabhängig von Sozialleistungen, elterlichem oder eigenem Einkommen gezahlt wird.
Kinder sind Zukunft!
Kinder sind nicht nur von Armut betroffen, sie stellen in unserer Gesellschaft auch eines der Armutsrisiken schlechthin dar. Nicht immer reicht die Erwerbstätigkeit der Eltern für die Ausgaben bei Erziehung, Betreuung und Bildung der Kinder. Gerade auch die Umstellung von Erziehungs- auf Elterngeld benachteiligt Geringverdienende, ALG-II-Beziehende, Auszubildende und Studierende. Gleichzeitig werden die Kommunen durch die verfehlte Kinderpolitik der Landesregierung – insbesondere das Kinderbildungsgesetz – gezwungen, die Elternbeiträge drastisch zu erhöhen. Ebenso steigen die Kosten für Schulmaterialien aufgrund der Einschränkung der Lernmittelfreiheit. Besonders für EmpfängerInnen von Sozialleistungen ist die Anrechnung des Kindergeldes auf ALG II ein massives Problem, dem mit einem Kindergrundeinkommen entgegengewirkt werden kann. Kinder dürfen kein Risiko sein, deshalb müssen Eltern durch den kostenlosen Zugang ihrer Kinder zu Bildung und Kultureinrichtungen weitestgehend entlastet werden.
Bildung ist der Schlüssel im Kampf gegen Armut
Bildung hat eine Schlüsselstellung im nachhaltigen Kampf gegen Armut. Jedoch benachteiligt das deutsche Bildungssystem Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien, wie bereits die UN-Menschenrechtskommission attestierte. Chancengleichheit in der Bildung muss bereits im frühkindlichen Alter beginnen, alle Kinder haben das Recht auf eine qualifizierte Förderung von Anfang an! Deshalb fordert die GRÜNE JUGEND NRW den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, den verpflichtenden Kitabesuch ab drei Jahren und die Elternbeitragsfreiheit. Das Kinderbildungsgesetz (KiBiz) der schwarz-gelben Landesregierung steuert stattdessen in eine ganz falsche Richtung: die Gruppen werden durch die Umstellung von einer Gruppenpauschale auf die Kopfpauschale vergrößert, für Kinder unter 3 Jahren gibt es zukünftig weniger Betreuungspersonal, die Elternbeiträge werden vielerorts steigen. Ob vorhanden Stellen erhalten bleiben ist fraglich, im Gegenteil: fünf-zweier-Stellen sind abgeschafft, das Berufspraktikum wird nicht mehr finanziert und die Arbeitszeit der ErzieherInnen richtet sich nach den für die Kinder gebuchten Stunden, so werden Stundenkürzungen von bis zu 30 % erfolgen.
Das selektive Schulsystem trägt weiter zur Ungerechtigkeit bei, denn die Kinder werden heute bereits nach der vierten Klasse aufgeteilt. Auch die Einführung von Studiengebühren setzt diese Benachteiligung fort. Wir fordern gleiche Bildungschancen für alle Kinder und Jugendliche unabhängig von Einkommen und sozialer Herkunft der Eltern. Dafür benötigen wir eine gemeinsame Schule für alle, die Lernmittelfreiheit sowie kostenlose Bildung an den Hochschulen. Wir fordern den kostenlosen Zugang zum Internet für alle Menschen. Dies kann durch kostenlose Internet-Terminals in öffentlichen Einrichtungen geschehen.
Die GRÜNE JUGEND NRW fordert die Vermittlung von Kenntnissen im Umgang mit Geld für alle SchülerInnen als Pflichtbestandteil des Lehrplans um Überschuldung und damit verbundene Armut vorzubeugen.
Bildung ist und bleibt staatliche Pflichtaufgabe. Wir beobachten mit Sorge den Trend zur Gründung und zur steigenden Beliebtheit von Privatschulen. Insbesondere „Eliteschulen“ begünstigen die Abkoppelung der Kinder aus privilegierten Bevölkerungsgruppen und reproduzieren so soziale Schieflage. Zwar lehnt die GRÜNE JUGEND NRW nicht grundsätzlich die Gründung nicht-staatlicher Kindergärten und Schulen in gemeinnütziger Trägerschaft ab, diese muss aber an strenge Auflagen, insbesondere der herkunftsabhängigen Zugangschancen unterliegen. Da die anteilige Finanzierung von Ersatzschulen an die Einhaltung von Landesbestimmungen und der zentralen Lehrpläne gekoppelt ist, müssen hier die Kontrollen optimiert werden. Wir wünschen uns, dass die öffentliche Anerkennungskultur bürgerschaftlichen Engagements, wie es in privaten Bildungseinrichtungen im großen Maße herrscht, ausgebaut wird. Notwendig ist die Ausweitung des Angebots an alternativen Schulformen in staatlichen Schulen. Die Gründung von Versuchsschulen muss entschieden vorangetrieben werden. Eine vollständige Finanzierung durch das Land ist ebenso selbstverständlich wie der Ausgleich der durch die Versuchssituation entstehenden, möglichen Nachteile.
Armut macht krank – Krankheit macht arm
Menschen aus einkommensschwachen Familien und SozialleistungsempfängerInnen erkranken häufiger. Wir setzen uns deshalb für eine kostenlose öffentliche Gesundheitsversorgung ein. Unser derzeitiges Gesundheitssystem ist in höchstem Grade ungerecht und bevorzugt die Gutverdienenden auf Kosten der breiten Masse. Besonders die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung teilt die medizinische Versorgung in zwei ungleiche Klassen. Die GRÜNE JUGEND NRW setzt sich daher für die Vereinigung sämtlicher gesetzlicher wie privater Krankenkassen innerhalb einer gemeinsamen BürgerInnenversicherung ein, in die alle Bürgerinnen und Bürger gemäß ihres gesamten Einkommens einzahlen. Aus der Versicherung erhalten alle BürgerInnen die gleichen Ansprüche auf medizinische Behandlungen und gesundheitliche Versorgung.
Erste Schritte auf dem Weg dahin sind mit der letzten „Gesundheitsreform“ und der Einführung des Gesundheitsfonds zwar getan, die Trennung zwischen privat und gesetzlich Versicherten wurde aber aufrecht erhalten und noch weiter verschärft. Sowohl die Beitragsbemessungsgrenze, welche die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung auf einen Höchstbetrag festlegt, als auch die Versicherungspflichtgrenze, die festlegt ab welchem Einkommen man aus der gesetzlichen Krankenkasse austreten darf, sorgen dafür, dass besonders gut verdienende und damit meist auch gesundheitlich gut versorgte Angestellte ebenso wie Selbstständige und Beamte sich aus dem Solidarsystem zurückziehen können. Wir dürfen keine Zwei-Klassen-Medizin dulden, die Armut und Benachteiligung auch auf dem medizinischen Sektor festigen.
Kinder müssen besser geschützt werden. Nicht selten resultiert aus einer prekären Lebenssituation der Eltern eine Gefährdung des Kindeswohls. Notwendig ist eine bessere Verzahnung der Angebote und Maßnahmen der freien Träger, der Kommunen, Schulen und Kindertageseinrichtungen. Einsparungen in öffentlichen Haushalten dürfen nicht zu einer Verschlechterung des Kinderschutzes führen. Das Land ist aufgefordert, die Vorgabe von Standards und eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen.
Kultur ist Lebenselixier
Bei der häufig populistischen Debatte über die wachsende „Unterschicht“ und auch über „Unterschichtenfernsehen“ wurde ein wichtiger Aspekt von Armut, die kulturelle Armut, auf die politische Agenda gesetzt. Es ist ein Problem, wenn Kinder nicht lernen, selbst zu basteln, zu spielen, zu lesen und einfach kreativ zu sein. Besonders in ärmeren Familien mangelt es oft an Anregungen für Kinder, was auf Dauer zu einem Mangel an Phantasie und einer eingeschränkten persönlichen Entfaltung führen kann, wodurch zum Teil das ganze Leben bestimmt wird.
Um das zu verhindern, muss die Möglichkeit ein Theater oder Kabarett zu besuchen, ins Kino zu gehen oder alternative Ausdrucksformen zu erlernen, allen Menschen offen stehen. In vielen Städten können sich vor allem ALG II-BezieherInnen das Kulturangebot, aber auch die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nicht leisten. Wir fordern deshalb flächendeckend die Einführung eines Kulturpasses für Arbeitslose und GeringverdienerInnen, der zum kostenlosen Eintritt in Theater, Kinos, Museen und Schwimmbäder sowie zur kostenlosen Fahrt mit dem ÖPNV und der kostenlosen Mitgliedschaft in Sportvereinen berechtigt. Der Pass soll die gesellschaftliche Teilhabe unabhängig vom finanziellen Hintergrund erleichtern. Dabei muss eine Stigmatisierung der Betroffenen vermieden werden, weshalb allen Menschen der Erwerb des Kulturpasses offen stehen muss. Aus dem Pass selbst darf hierbei nicht ersichtlich sein, ob die/der InhaberIn diesen zu verbilligten Konditionen erstanden hat oder nicht In einigen Städten gibt es zwar ähnliche Projekte für die Kommune, oft ist aber nur ein kleiner Personenkreis anspruchsberechtigt und es werden nur relativ geringe Vergünstigungen allein für lokale Angebote gewährt.
Kunst und Kultur müssen viel stärker als bisher theoretisch und praktisch in Kindergärten und Schulen verankert werden. Die finanzielle Unterstützung wie durch das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ ist ein Anfang, der den tatsächlichen Bedarf aber nicht abdecken kann. Jedes Kind muss unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern gefördert und unterstützt werden. Dazu bedarf es auch staatlicher Zuschüsse und Subventionen für eine unabhängige und kritische Kulturszene.
Die Landesregierung hat mit der Anhebung des Kulturförderetats und der Einführung von neuen Ausgabeposten wie „Kunst und Kultur für Kinder und Jugendliche“ im Landeshaushalt erste Schritte in die richtige Richtung getan. Dennoch bewegen wir uns im bundesweiten oder europäischen Vergleich auf einem erschreckend geringen Niveau.
Beschlussfassung der Landesmitgliederversammlung im November 2007 in Hagen
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