29. September 2021

Verbandsarbeit ist für alle da! Wege hin zu einer offenen GJ NRW



Politische Entscheidungen gehen uns alle gleichermaßen an. Trotzdem haben nicht
alle den gleichen Zugang zu den Orten und Gruppen, an denen Politik gemacht
wird. Der Grad der eigenen politischen Teilhabe und der eigenen
Einflussmöglichkeit hängt im aktuellen System von vielen Faktoren ab. Die sind
nur selten selbst gewählt – meistens sind sie Ergebnis einer ungerechten
Geburtslotterie. Wo verschiedene diskriminierende und ausschließende Faktoren
zusammenkommen, wirken sie auf unterschiedlichste Art und Weise miteinander und
verstärken sich oft gegenseitig.

 

Als GRÜNE JUGEND fordern wir einen radikalen Wandel der verschiedenen Ebenen des
politischen Systems und einen gerechten Zugang für alle. Aber auch unser Verband
selbst stellt nicht mehr als eine Ebene des Systems dar. Wir arbeiten innerhalb
der schon bestehenden ungerechten Strukturen. Deshalb sind wir auch weit davon
entfernt, frei von diskriminierenden und ausschließenden Mechanismen zu sein.
Denn wir stellen keine abgegrenzte Gruppe an Menschen dar. Wir sind alle im
bestehenden (und an vielen Stellen wirklich miesen) System aufgewachsen und
werden in ihm weiter sozialisiert.

 

Umso wichtiger also, dass wir uns dem Ziel eines gleichberechtigten Zugangs für
alle auch im Verband bedacht, entschlossen und differenziert annehmen.

 

Dieser Antrag schlägt einen nächsten Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel vor.
Nicht weniger – aber auch nicht mehr. Er stellt keine Pauschallösung für einen
Verband ohne Diskriminierung und ohne Barrieren dar. Er ist auch kein
soziologisches Essay über gesellschaftliche Machtstrukturen. Stattdessen gehen
wir in ihm auf verschiedene diskriminierende und exkludierende Mechanismen ein
und beschreiben, welche konkreten Schritte gegangen werden sollen, um sie im
Verband abzuschwächen. Mittelfristig wollen wir auch hier nicht genannte Gruppen
unterstützen und für sie Maßnahmen, wie beispielsweise Vernetzungstreffen,
entwickeln.

 

Rassismus

Schwarze und indigene Personen sowie Personen of Color werden strukturell
rassistisch diskriminiert. Auf sie wirken verschiedene Rassismen. Dabei
funktioniert antimuslimischer Rassismus zum Beispiel anders als beispielsweise
antiasiatischer Rassismus. Trotz dieser Unterschiede ist es möglich,
antirassistische Strategien zu entwickeln, die alle BIPoC (Black, Indigenous and
People of Color) stärken.

 

Zur Entwicklung dieser Strategien wollen wir (sollte der Antrag
Satzungsänderungsantrag zu Delegationen und Teams angenommen werden) einen
Arbeitsbereich gründen.Er soll aus einer gemischten Gruppe mit verschiedenen
Wissensständen und Erfahrungen bestehen. Es ist wichtig, dass sich auch weiße
Personen für die strukturellen Veränderungen, die hier passieren müssen, stark
machen. Wir wollen nicht, dass die gesamte antirassistische Arbeit im Verband
bei BIPoC hängen bleibt.

 

Für diesen Prozess können wir auf viel starke Arbeit, die schon auf Bundesebene
geleistet wurde, zurückgreifen. Wir müssen aber auch die NRW-spezifischen
Strukturen in den Blick nehmen. Der Arbeitsbereich soll Strategien entwickeln,
um BIPoC in der Grünen Jugend NRW besser anszusprechen, sie für die Arbeit im
Verband zu aktivieren und sie langfristig besser einzubinden.

 

Antisemitismus

Brandanschläge auf Synagogen und jüdische Gedenkstätten, brennende Israel-Fahnen
und antisemitische Parolen auf Demonstrationen zeigen eindringlich: Auch 2021
sind Antisemitismus und im besonderen auch israelbezogener Antisemitismus
weiterhin eine akute Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland. Als
kognitives und emotionales Weltbild bietet der moderne Antisemitismus ein
allumfassendes System von Ressentiments und (Verschwörungs-)Mythen.Er hat daher
viele komplizierte Fassetten und Ausdrucksformen.

 

Wir können ihm in erster Linie mit Aufklärung begegnen. Gerade Neumitglieder
müssen die Möglichkeit erhalten, sich beispielsweise in Bildungsangeboten über
Antisemitismus zu informieren. Nur wer jeden Antisemitismus erkennt, kann sich
auch im Sinne unserer Beschlusslage „GEGEN JEDEN ANTISEMITISMUS!“ (vom
05.03.2015) positionieren und sie – auch innerhalb der Grünen Jugend – weiterhin
bestärken. Außerdem ist es wichtig, jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu
machen und es als die Normalität darzustellen, die es längst sein sollte – dafür
können Veranstaltungen, aber auch zum Beispiel Social-Media-Arbeit hilfreich
sein.

 

Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität oder der sexuellen
Orientierung

Diskriminierung von cis Frauen wirkt anders als Diskriminierung von INTA*-
Personen. Diese wirken wiederum anders, als beispielsweise Bi- Homo- oder
Panfeindlichkeit. In allen Bereichen haben wir in der GRÜNEN JUGEND starke
Vorbilder. Das ist richtig gut! Lasst uns aber hier nicht stehen bleiben,
sondern weiterhin mit ganzer Kraft für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt
streiten. Während zum Beispiel FINTA* selbst oft jede Menge über Queerfeminismus
wissen, haben wir immer noch einige (neuere) cis Männer, die mit all dem noch
wenig anfangen können. Hier kann gezielte Bildung im Sinne solidarischer
Männlichkeit ein guter Hebel sein. Wir brauchen außerdem noch mehr spezifische
Formate, in denen sich FINTA* Personen in einem Safer Space austauschen und
gegenseitig empowern können. Perspektivisch streben wir ein vielfältiges und
variierendes Bildungsangebot für unterschiedliche Wissensstände an – sowohl für
FINTA* und weitere genderqueere Personen als auch für cis Männer.

 

Ableismus und weitere Hürden für Menschen mit Behinderung, chronischen und/oder
psychischen Erkrankungen

In diesem Bereich ist es wichtig, die verschiedenen Krankheitsbilder,
Behinderungen und Einschränkungen in den Blick zu nehmen. Neben dem Ableismus
(Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, chronischen und/oder psychischen
Erkrankungen), den viele erfahren, gibt es viele ganz konkrete Hürden, die
Menschen an der Teilhabe in unserem Verband hindern können. BarriereFREIheit für
alle ist dabei ein riesiges Ziel und kostet viel Geld und Ressourcen. Wir wollen
uns aber nicht auf das fokussieren, was wir alles nicht leisten können, sondern
lieber schauen, mit welchen einfachen Mitteln schon viel gewonnen werden kann.

 

Eine digitale Teilnahme bei Präsenz-Landesmitgliederversammlungen kann zum
Beispiel für Menschen, für die ein weiter Weg eine große Hürde darstellt oder
für Menschen mit sozialen Ängsten eine echte Entlastung sein – oder die
Teilnahme überhaupt erst ermöglichen – oder die Teilnahme überhaupt erst
ermöglichen. Über dieses Konzept haben wir uns schon viele Gedanken gemacht –
wir werden es bei der Herbst-LMV zum ersten Mal ausprobieren und erhoffen uns,
es danach zum Standard machen zu können. In Social-Media Feedbeiträgen
etablieren wir ausnahmslos Untertitel und Bildbeschreibungen, in Story auf
Social Media nutzen wir diese in der Regel. Das kann insbesondere Menschen mit
Seh- bzw. Hörschwierigkeiten helfen. . Stück für Stück wollen wir auch mehr
einfache Sprache etablieren, Mitglieder in ihr schulen und so langfristig dafür
sorgen, dass zum Beispiel Bewerbungen immer auch in einfacher Sprache
eingereicht werden können und dies zum Standard wird.

 

Weil diese Aufzählung noch lang nicht abschließend ist, wollen wir mehr
Feedbackmechanismen für Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen oder
chronischen Krankheiten ermöglichen. Das kann im Rahmen anonymer
Evaluationsbögen oder in persönlichen Austauschrunden mit der politischen und
organisatorischen Geschäftsführung sowie der Schatzmeisterei passieren.
Landesgeschäftsstelle und Landesvorstand können die Perspektiven dieser Menschen
so Stück für Stück besser in der organisatorischen Arbeit berücksichtigen.

 

Sprachbarrieren

Leute, mal ehrlich: Wir nutzen ständig schwierige Sprache. Oder englische
Begriffe, oder beides. Was Muttersprachler*innen und Menschen mit akademischem
Hintergrund meist nicht auffällt, kann für viele Personen aus unterschiedlichen
Gründen extrem ausschließend wirken. Um hier Hürden abzubauen, muss nicht alles
gleich in Leichter Sprache oder in 10 verschiedene Sprachen übersetzt werden.
Wir wollen es aber schaffen, dass die Texte, die wir produzieren, für mehr
Menschen verständlicher und zugänglicher werden. Stück für Stück muss ein
Bewusstsein für kurze Sätze, übersichtige Anträge und weniger Fachsimpelei
wachsen. Besonders Kernforderungen müssen verständlich und leicht im Antragstext
zu finden sein. Abkürzungen sollten erklärt oder, noch besser, vermieden werden.
Es darf sich nicht so anfühlen, als wären bei uns nur Leute mit einem
akademischen Hintergrund willkommen.

 

Gleichzeitig wollen wir unsere wichtigsten Texte in einfache Sprache übersetzen
und Bewerbungen sollen mit einer Version in einfacher Sprache perspektivisch zum
Standard gemacht werden.Dafür wollen wir auch Mitglieder in einfacher Sprache
schulen. Außerdem wollen wir gezielt Leute anfragen, die uns bei Übersetzungen
unterstützen können. Es muss sich kein langfristiges Team an Übersetzer*innen
gründen.Eine kleine Delegation, die vielleicht auch nur einmalig etwas
übersetzt, ist besser als nichts!

 

Finanzielle Barrieren

Was mensch anderen oft nicht ansieht, kann für viele Mitglieder große Hürden
bedeuten. Hohe Teilnahmebeiträge zum Beispiel sind nicht für alle zu stemmen.
Hier brauchen wir ein klares, solidarisches System, das allen Mitgliedern
unabhängig vom eigenen Einkommen oder dem Einkommen der Erziehungsberechtigten
die uneingeschränkte Teilnahme ermöglicht! In so einem System muss bedacht
werden, dass es für viele Menschen schwierig ist, sich öffentlich zu ihrer
prekären Situation zu äußern.Neben den Beiträgen kostet auch die Arbeit in
Ämtern wie dem Bildungsteam oder dem Landesvorstand Zeit – die viele zwischen
Ausbildung oder Nebenjob und Regelstudienzeit nicht aufbringen können.

 

Auch hier können wir mit den Verbandsmitteln keine gerechte
Mindestausbildungsvergütung oder elternunabhängiges BAföG ersetzen. Es wird
außerdem darüber nachgedacht, eine solidarische Aufwandsentschädigung für
besonders zeitintensive Ämter einzuführen, und die Verbandsarbeit auf
Landesebene auf vielen Schultern zu verteilen. Breite, gut arbeitende Strukturen
machen die Arbeit niedrigschwelliger und sparen uns allen ein Burnout. Hier ist
also viel zu tun, der Satzungsänderungsantrag zu Teams und Delegationen ist ein
Anfang. Um Menschen in verschiedensten Lebenssituationen anzusprechen, müssen
wir auch auf feste Start- und Endzeiten achten, die außerhalb der klassischen
Arbeitszeiten liegen. Wir wollen darüber hinaus auch Maßnahmen etablieren, die
Klassismus (also der gesellschaftlichen Diskriminierung aufgrund der sozialen
Herkunft) entgegenwirken.

 

Also?

Die Lösungen für ausschließende und diskriminierende Mechanismen sind also
mindestens genauso vielfältig wie sie selbst. Wir wollen gemeinsam und Schritt
für Schritt über unsere Strukturen nachdenken und zu nachhaltigen Veränderungen
kommen, die Menschen mit allen möglichen Hürden die Teilhabe in unserem Verband
erleichtert. Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der Fehler okay sind und in
der Menschen selbstverständlich zweite Chancen eingeräumt werden. Dazu gehört
auch, dass sic han den Kapazitäten, die auf organisatorischer und finanzieller
Ebene vorhanden sind, orientiert wird. Langfristig sollen so alle die
Möglichkeit, die Kraft und auch einfach Bock darauf haben, in der GRÜNEN JUGEND
Politik zu machen. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Aber in einem konstruktiven
Prozess können wir ihm Stück für Stück näherkommen und die Veränderung gemeinsam
gestalten. Also auf geht’s!



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